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Im westlichen Denken, spezifisch in den Naturwissenschaften, werden Mensch und Umwelt als Beziehungen zwischen natürlichen Objekten im Raum untersucht. Dieser Ansatz wurde aus Sicht der Modelle als Wissenschaft der Anschauung (engl. Science of Seeing) bezeichnet (Pearl, 2000). Die Umweltforschung betrachtet sich als ein angewandtes Gebiet.

In der Moderne haben Menschen die Fähigkeit perfektioniert Objekte im Raum wahrzunehmen. Von der Erfindung (beziehungsweise Wiederentdeckung) der räumlichen Perspektive in der Renaissance bis zum alltäglichen Gebrauch von Satellitenbildern bei der Navigation im Straßenverkehr, haben Menschen gelernt, mit den Verzerrungen der räumlichen Wahrnehmung umzugehen. Das perspektivische Modell wurde zu einem impliziten und allta ̈glichen Instrument. Zu Beginn der Epoche der modernen Wissenschaft war die Frage des Standortes menschlicher Beobachter und der Erde im Universum ein wichtiges Problem. Heute wissen wir, wie wir Bilder von Objekten jeglicher Grö̈ße machen und lesen können, sei es die Größe von ganz Afrika oder der Erde. Das gilt für beliebige räumliche Entfernungen.

Die zweite Art der Wahrnehmung aus Sicht der Modelle wurde als Kunst des Handelns (engl. Art of Doing bezeichnet). Dieses Konzept entspricht einer Hervorhebung von partizipativen Umweltbeziehungen in der Kulturanthropologie (engl. Dewelling; Ingold, 2011). Im Teilprojekt ‘Naturvisionen‘ verwenden wir Nutzungstraditionen von Ökosystemen wie etwa bei Nomaden, Pastoralisten oder Ackerbauern als Beispiele. Der Ansatz der Kunst des Handelns ist dabei bisher kaum formalisiert. Es soll getestet werden, ob der derzeitige Unterschied zwischen beiden Haltungen, der Wissenschaft der Anschauung und der Kunst des Handelns, historische oder faktische und logische Gründe aufweist. Benötigen und besitzen die Wahrnehmungen und Interpretationen von Geschichte und besonders von Zukunft, entsprechende Korrekturen für (zeitliche) Verzerrungen, wie diejenigen, die uns im Umgang mit räumlicher Wahrnehmung zur Routine geworden sind?

Heute sehen sich viele Zeitgenossen in einer besonderen Rolle gegenüber der Geschichte der Umwelt. Einige Europäer fühlen sich seit den Kampagnen von Prof. B. Grzimek zur Serengeti auch verantwortlich für die Erhaltung afrikanischer Ökosysteme. Die heutige geologische Epoche ist aus einer ähnlichen Haltung heraus sogar zum Anthropozän umbenannt worden, da Menschen unweigerlich ihre lokalen und die globale Umwelt prägen (Crutzen, 2002). Es ist offensichtlich, dass diese Wahrnehmung der Rolle des Menschen als epochengebend, stark von Modellen geprägt ist: etwa des Klimawandels oder der Dynamik von Ökosystemen. In diesem Teilprojekt werden wir solche ‘westlichen Modelle‘ denen von Gruppen in Afrika gegenüberstellen. Dabei geht es um unterschiedliche Begriffe der Aneignung und Bewahrung (von Natur). Wir interessieren uns dabei besonders für die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Verzerrungen von Ereignissen als zeitliche Folgen. Wir vermuten auch hier implizite Modelle für die Korrektur dieser Modelleffekte, das heißt, wie verschiedene Beteiligte historische und künftige Ereignisse interpretieren, sei es die Geschichte eines Ökosystems oder eines Kontinents. Das gilt für beliebige zeitliche Abstände.

Als Ausgangspunkt zur Identifikation und Klassifikation der impliziten Modelle von Geschichte und Zukunft der Natur werden wir die ‘Ethno-Kosmologien‘ von Descola, 2011 verwenden. Die Fallstudien werden einerseits Nationalparks in Afrika sein, wo wir gegensätzliche Modellvorstellungen erwarten, andererseits die Aneignung der Klimadebatte in Afrika, wo ebenfalls unterschiedliche implizite Modelle erwartet werden. Diese Untersuchen werden in Kooperation mit dem DFG Projekt “economy of sacred space” (U. Berner) durchgeführt.

 

Referenzen:

Crutzen, Paul J (2002). “Geology of mankind”. In: Nature 415.6867, pp. 23–23.
Descola, Phillipe (2011). Jenseits von Natur und Kultur. Suhrkamp Verlag.
Ingold, Tim (2011). Being alive. Taylor & Francis.
Pearl, J. (2000). Causality: models, reasoning, and inference. Vol. 47. Cambridge Univ Press.